Die Pferde verstehen
DAS Thema, das irgendwie alle Pferdemenschen beschäftigt: „Wie verstehe ich mein Pferd besser.“ Auch für mich rückt diese Frage immer mehr in den Mittelpunkt. Was braucht es, damit „man“ sein Pferd endlich „richtig“ versteht. Muss man zum begnadeten Pferdeflüsterer mutieren? Muss das Herdengefüge „nachgestellt“ werden? Ist Dominanz und Vertrauen das eine Thema, das die ultimative Lösung bringt? Oder eher die „beste“ Reitweise?
Immer mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass das alles schön und gut ist. Und nett. Und dass alles seine Berechtigung und auch Wirkung hat. Es ist auch wichtig, dass es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt. Schließlich passt nicht alles für alle. Allerdings auf den Grund der Tatsachen kommt das nicht wirklich.
Der Grund der Tatsachen
Ich muss an meine Klientin denken, deren Pferd versucht hat, mich wegzudrängen und, als das nicht geklappt hat, mich weg zu beißen. Wir standen zusammen im Paddock und haben uns unterhalten. Der Wallach war dabei, allerdings haben wir ihn nicht weiter beachtet. „So ein ungezogener Fratz!“ Das bekommt sie öfter zu hören, sagt sie. Er macht das nämlich immer, wenn jemand mit dabei ist. Wenn sie alleine mit ihm ist, benimmt er sich völlig anders. Gute Ratschläge sind hier extrem billig. Von mehr Druck, den sie machen soll, zu „du bist einfach zu weich“ bis „der ist unerzogen“. Geholfen hat keiner, außer ihr traut sich nicht so wirklich jemand an ihn heran.
Ich frage sie, wie es für sie wäre, wenn jetzt jemand zu uns käme. Meine Aufmerksamkeit nicht mehr voll bei ihr wäre, sondern bei dem anderen. Ich mich durch ihn ablenken ließe, obwohl wir beide uns ja bis eben intensiv unterhalten haben. Die Antwort kommt prompt: „Boah! Das geht ja gar nicht!“ Auf meine Frage, was sie dann am Liebsten machen würde, wenn es ginge: „Ich würde dir direkt ein´s auf die Nase geben!“
Aha. Kommt jetzt nicht wirklich überraschend für mich. Beide wollen ganz einfach die volle Aufmerksamkeit. Immer. Und sind gekränkt, wenn sie die nicht bekommen. Kann ich gut verstehen. Ist im Fall des Pferdes aber nicht sehr angenehm und kann auch recht gefährlich werden. Er hat das Muster „seines“ Menschen übernommen. Er spiegelt sie.
Und da soll es helfen, wenn man lernt, „pferdisch“ zu sprechen? „Richtig“ zu reiten oder den Dominanten zu spielen, der man vielleicht gar nicht sein will? Das Pferd spiegelt seinen Menschen. Immer. Ganzheitlich. Konsequent.
Will die Besitzerin das Verhalten ihres Pferdes anders haben, muss sie an sich arbeiten. Ihr eigenes Verhalten und vor allem auch ihre Einstellungen beleuchten und verändern. Und das hat dann dieselbe Wirkung auf´s Pferd.
Verstehen
Begreifen die Menschen wirklich, was das heißt? Dein Pferd spiegelt dich? Immer? Ganzheitlich? Konsequent? Leider nicht. Dazu bräuchte es vor allem den Blick auf sich selber. Der Mensch ist der Grund der Tatsachen!
Pferde und die Themen ihrer Menschen
Eine andere Klientin hat auch Probleme mit ihrem Wallach. Sie kennen sich schon einige Jahre. Bislang ging es mit den beiden auch ganz gut. Richtig entspannt war es allerdings nie. Der Bub ist sehr dominant. Eine Führungspersönlichkeit. Einer der Kandidaten, die wirklich in der Lage sind, die Führung der Herde zu übernehmen. Kompetent und klar. Inzwischen reitet sie ihn gar nicht mehr. Sie kann sich überhaupt nicht mehr durchsetzen. Alleine schon die Entscheidung, ob es „links“ oder „rechts“ geht, wird von ihm getroffen. Sie fühlt sich immer mehr in die Ecke gedrängt, traut sich überhaupt nicht mehr drauf. Sie steht vor der Entscheidung „Stelle ich ihn endgültig auf Koppel, oder bekommen wir das nochmal hin?“
Pferde bringen Menschen in Berührung mit ihren innersten Themen. Was steckt hier dahinter? Eine massive Angst vor Kontrollverlust und den Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten. Irgendwann gab es diesen Kontrollverlust tatsächlich. In einem wilden, eben unkontrollierbaren Galopp. Das Gefühl völliger Hilflosigkeit und ein schlimmer Sturz, mit dem alles endete. Das ist nie aufgearbeitet worden. Und äußert sich jetzt immer massiver in der Angst davor, den eigenen Willen mal durchsetzen zu wollen. Zu sagen: „Nein. Heute gehen wir mal dahin, wo ich will!“ Die Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, wenn sie das eben nicht schafft, vor der Hilflosigkeit und wieder runterzufallen. Also gibt sie wieder lieber nach. Gut geht es ihr damit natürlich nicht.
Ihr Pferd sagt: „Löse Dein Problem. Dann werden wir ein Team. Vorher geht das nicht!“ Immer und immer wieder. Mit einer Engelsgeduld.
Was wollen Pferde
Pferde wollen den Menschen ihre Themen bewusst machen, damit sie sie lösen können. Erkennen die Menschen das? Eher selten. Denn dann müssten sie sich selber erkennen. Und das kann sehr schmerzhaft sein. Das weiss ich nur zu gut aus eigener Erfahrung. Also wird lieber Pferdegeflüstert, immer wieder anders „richtig“ geritten und über den Sinn oder Unsinn von Dominanz diskutiert.
Und mit all dem entgeht der Aufmerksamkeit das eigentlich Entscheidende. Die unglaubliche Chance, die Menschen durch ihre Pferde bekommen. Die Chance für eine echte Veränderung. Wohin? Zum Guten!!